Riga in blau-gelb

Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf Lettland aus? Das wollen die #ems13-Volos auf ihrer Journalist*innenreise nach Riga herausfinden und machen sich auf die Suche nach Zeichen des Krieges. Von Marie Steffens, Linh Tran, Felina Czycykowski, Hannah Grünewald 

Es ist grau in Riga. Die Autos und Busse haben den Schnee matschbraun gefärbt. Die Sonne wird von dichten Wolken bedeckt. Die Häuser sind mit grauem Nebel umzogen. Aber nicht nur das Wetter in Riga ist dröge: Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, herrscht in Lettland eine Atmosphäre der Solidarität, aber auch der Sorge.  

Schon vor Jahren haben die Lett*innen vor einem Krieg gewarnt. Dieses Jahr ist er Realität geworden. Und in Riga ist die Angst noch größer geworden. Die Angst, dass Russland bald auch in die baltischen Staaten einmarschieren könnte.  

So wie 1940 und 1944/45, als die Sowjetunion Lettland besetzte. Damals wurden tausende Lett*innen ermordet oder nach Sibirien verbannt. Es war eine Zeit des Terrors und der Repressionen.  

Gleichzeitig wurden viele Russ*innen im Land angesiedelt. Bis heute ist in Lettland jede dritte Person russischer Herkunft. Ein Grund, warum der Krieg für die lettische und auch russischstämmige Bevölkerung eine große Rolle spielt. So eine große Rolle, dass beinahe in jeder Straße eine ukrainische Flagge aus dem Fenster eines Wohnhauses weht.  

Der Krieg in der Ukraine ist in Riga allgegenwärtig 

Die Menschen aus Riga zeigen ihre Solidarität mit der Ukraine so gut wie überall. In der Einkaufsstraße fordert ein großes Graffiti: „Ruhm der Ukraine! [Slava Ukraini]”. Der Stadtbus fährt mit einem Sticker der ukrainischen Flagge auf der Tür durch die Stadt.  

Und auch in Museen wird der Krieg Putins thematisiert. Ein Fotoprojekt namens „Swimming Through” zeigt eine Person, die durch blutrotes Wasser schwimmt. „It is important not to get numb to the horrific images of mass killings of Ukrainians and their pain”, mahnt der Erklärtext.  

Aber nicht nur in öffentlichen Einrichtungen solidarisiert man sich. Auf dem Zentralmarkt verkaufen verschiedene Marktstände Produkte aus der Ukraine, zeigen Fahnen in ihrem Shop.  

Das Goethe-Institut schreibt „#westandwithukraine” ins Schaufenster des Büros. In Restaurants hängen Gemälde in blau-gelb und mit Friedenstaube.  

Zeichen des Protests vor der Russischen Botschaft  

Am stärksten wird die Haltung der Lett*innen im Regierungsviertel deutlich. An. einem Gebäude gegenüber von der russischen Botschaft prangt das Gesicht von Putin in schwarz-weiß. Statt seines Mundes ist in der unteren Hälfte seines Gesichts nur noch ein Kieferknochen zu sehen. Die hässliche Fratze des Krieges.  

Keine 200 Meter gegenüber ist ein weiteres Plakat aufgespannt: „Stop Putin, Stop War”, ist darauf zu lesen. Eine scharfe Kritik an Putins Angriffskrieg auf die Ukraine.  

Russische Minderheit in Lettland wird hinterfragt  

Vor der Botschaft erzählt eine Frau, wie sich die Stimmung innerhalb der Stadt geändert hat. Die russische Minderheit gehört seit Jahren zu Lettland: Die meisten Lett*innen sprechen fließend Russisch, diverse Staatskritiker*innen finden hier Zuflucht.  

Doch seit dem Angriff Putins auf die Ukraine müssen sich Russ*innen in Lettland positionieren. Das Vertrauen zueinander leidet.  

Eine Lettin berichtet von ihrem Verhältnis zu Russland: „Russische Menschen haben hier schon immer gewohnt. Lettland ist erst ein freier Staat seit 40, 50 Jahren, mit Pausen. Wir waren fast immer unter jemandem. Und jetzt, ich bin gerade durch den Park gelaufen, hört man lettische Kinder, die sagen, dass sie russische Nachbarn haben, die so und so sind. Und auch Russen sagen das. Die meisten Russen hier sind tolle Menschen. Also ist es traurig zu sehen, dass sie hier ihr ganzes Leben wohnen, geboren sind und nun werden sie diskriminiert. Man weiß nicht wirklich, wer auf welcher Seite ist, also sollte man Menschen nicht aufgrund ihrer Nationalität verurteilen. Das ist die Hauptsache hier.“ 

Alltag und Krieg 

Eine Markthalle im Zentrum Rigas ist ein Treffpunkt für Menschen aller Herkunft. Hier gibt es Souvenirs, regionale Spezialitäten, Kleidung und Haushaltswaren. An einem Ende der Halle findet man den Stand von Marina* [Name geändert].  

Schon von Weitem sieht man die lächelnden und auffallend bunt bemalten Matrjoschkas. Eine ist kunstvoller gestaltet als die andere: blau, gelb, rot und pink. Die einzige, die nicht in strahlenden Farben gekleidet ist, ist Marina*. 

Sie ist Ukrainerin. Seit acht Jahren lebt sie in Lettland, kam der Liebe wegen her. Ihre Familie jedoch lebt noch in der Ukraine:  

Marina* in ihrem Souvenirshop auf dem Zentralmarkt Riga
„Ja, ich bin Ukrainerin. Und ich finde, dass was in der Ukraine passiert nicht gerecht. Ich halte Russen für Terroristen, weil sie die Ukraine angegriffen haben. Sie sagen, dass wir Druck auf russischsprachige Menschen ausgeübt haben und sie schlecht behandelt haben.  Das stimmt nicht. Es gab das Recht zu sprechen und das Recht zu wählen. Für alle. Der Krieg geht nicht erst seit acht Monaten, sondern acht Jahren. Alle Menschen in der Ukraine wissen, dass Russland die Ukraine überfallen hat vor acht Monaten. Es tut mir sehr leid, dass Menschen in der Ukraine so leiden.”

Man muss gar nicht so weit laufen, um weitere Meinungen zu hören. Die Menschen sprechen bereitwillig über ihre Geschichten und Berührungspunkte mit der aktuellen Situation. So wie Dana. In ihrem Shop verkauft sie lettische Mitbringsel: Bernsteinketten, Magneten, Tassen. Ihre Eltern kommen aus Russland und aus der Ukraine.  

Ihr ambivalentes Verhältnis zum Krieg wird sofort spürbar. Sie berichtet uns von dem Verhältnis russischsprachiger und lettischsprachiger Menschen:  

„Ich denke, es ist ein politisches Problem. Ich habe viele Bekannte und Verwandte, die russisch und lettisch sind. Wir haben solche Probleme nicht. Es gab immer schon mal sowas, dass lettische Menschen gegen russische sind. Jetzt ist es eher ein politisches Problem, weil bei uns die russische Sprache verboten und russische Waren verboten werden. Es wird alles verboten, was mit Russland zu tun hat. Es gibt überall schlechte Menschen. In Russland, hier, in Amerika, überall. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Die Politiker haben das entschieden. Sowohl Russen als auch Ukrainer leiden. Aber wir leiden unter Sanktionen, weil alles teurer geworden ist. Strom, Gas und so, hat sich nichts geändert: Meine Beziehung zu allen ist dieselbe geblieben.“ 

Momente der Solidarität 

Es sind solche Momente, die den Krieg in der Ukraine besonders greifbar machen. Alle Menschen in Riga kennen jemanden, der direkt unter dem Krieg leidet.  

Im Stadtbild finden sich mehr ukrainische Fahnen als lettische. Der Krieg ist Alltag geworden. Und das nicht erst seit 2022, sondern schon vorher, als Deutschland sich noch nicht vorstellen konnte, dass so etwas passieren könnte. Für die Bewohner*innen Rigas ist der Kriegsausbruch dagegen keine Überraschung gewesen.  

Genau deshalb ist ihre Solidarität mit der Ukraine immer und überall spürbar. Und das nicht nur, weil der Krieg hier geografisch so nah ist. Sondern, weil die baltischen Staaten und die Ukraine ein ähnliches Schicksal teilen: Sie sind mit Russland verbunden und mit dem Kampf nach Unabhängigkeit bestens vertraut.